An der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel entwickelt die Autorin und Künstlerin ein begehbares Buch
Lukas Dörfler
Wolfenbüttel. Der Künstlerbuchpreis 2022, der von der Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek (HAB) und der Curt-Mast-Jägermeister-Stiftung verliehen wird, ging in diesem Jahr an Künstlerin und Autorin Beldan Sezen. Neben dem Preisgeld von 6000 Euro hatte die Künstlerin die Möglichkeit, einen Monat lang an der Bibliothek zu arbeiten und ein von den Beständen der HAB inspiriertes Künstlerbuch zu fertigen. Das Werk, das dabei entstanden ist, ist außergewöhnlich. Es ist ein begehbares Buch.
Schon zuvor hatte die Bibliothek die Werke „Wetrocities“ – das auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Besuch zum 450-jährigen Jubiläum der Bibliothek bewunderte – und „To keep that bit of physical distance“ in ihrem Bestand. „Wir haben mithilfe der Curt-Mast-Jägermeister-Stiftung mittlerweile eine kleine Beldan-Sezen-Sammlung“, freute sich Direktor Peter Burschel, der Sezen eine Affinität zu Graphic Novels im Stil bescheinigte.
Die Künstlerin, die in Wiesbaden geboren wurde und in New York und Amsterdam lebt und arbeitet, hielt sich im Hintergrund. Sie sprach von dem Ruf der Bibliothek und von der Freude, in Wolfenbüttel gearbeitet zu haben. Sonst lässt sie ieber ihre Werke für sich sprechen. „Sezen begreift das Buch als Medium in all seinen Dimensionen“, sagt Jule Hillgärtner, Direktorin des Braunschweiger Kunstvereins, in ihrer Laudatio. Die Arbeit der Künstlerin bezeichnet sie als „produktive Dekonstruktion“.
Katharina Kuri (von links), Curt-Mast-Jägermeisterstiftung, und Peter Burschel (HAB) überreichen Beldan Sezen den Künstlerbuchpreis. Daneben sieht man das begehbare Buch. LUKAS DÖRFLER
In Wolfenbüttel setzte sie sich mit Anton Wilhelm Amo auseinander, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Kindesalter an den Hof der Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel kam und als erster europäischer Philosoph afrikanischer Herkunft gilt. Neben einem Porträt Amos (man weiß nicht, wie er aussah), finden sich Schriftzüge. Doch das ist nicht das außergewöhnliche an em Werk. Es ist nämlich begehbar. „Erst mit dem Aufschlagen entfaltet sich das Narrativ“, so Hillgärtner. An einer Schnur wird es nach oben gezogen, entfaltet sich dreidimensional, scheint zu schweben. In der Mitte des weißen Stoffes findet genau eine Person Platz.
„Was bedeutet es, in einem Buch versunken zu sein?“, fragt Hillgärtner. Wird es zum Schutzraum oder fühle man sich einsam? Wie kann die Leere gefüllt werden? All diese Fragen stelle Sezen in ihrem Werk. Durch den kleinen Raum würden Geist und Körper abgeschirmt und finden gleichzeitig zu sich selbst, können sich entfalten – und Amos Worte auf sich wirken lassen.
Quelle: Wolfenbütteler Zeitung, Freitag, 16. September 2022